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Mischa allein im Kindergarten
Interkulturelle Schwierigkeiten russischsprachiger Kinder in Deutschland

Seitdem der kleine Mischa in den Kindergarten geht, versteht er die Welt nicht mehr. Was richtig und was falsch ist und auf wen man hören soll, weiß er nicht. Die Mama sagt z.B. man darf die Erwachsenen beim Sprechen nie unterbrechen, aber Frau Kestermann schimpft mit ihm nicht, wenn er mal dazwischen redet, sondern sagt sogar, er darf sie jeder Zeit was fra-gen, wenn er will. Oder wie man die großen Leute ansprechen muss. Zu Hause heißt es, alle Erwachsenen sind Onkel und Tanten. Neulich hat Mischa zu Mamas Freundin Tante Ljuda "Du, Ljuida" gesagt. Mensch, was hat die Mama mit ihm geschimpft! Als Strafe musste er sich bei der Tante entschuldigen. Aber im Kindergarten sagt man doch auch zu allen Erziehe-rinnen "Du" und die finden es in Ordnung. Oder die Sache mit dem Frühstück. Zu Hause gibt es morgens immer diesen leckeren Grießbrei mit der selbstgemachten Himbeermarmelade. Man muss allerdings den ganzen Teller immer aufessen und warten, bis man aufstehen darf. In den Kindergarten kann jeder zum Frühstück mitbringen, was er will, aber keine Süßigkei-ten. Dafür aber geht es bei Tisch so lustig zu, und man darf sogar selbst bestimmen, wann man essen will. Und keiner zwingt einen aufzuessen.

Mischa weiß nicht so recht, wo es ihm besser gefällt. Manchmal findet er die Kinder in sei-nem Kindergarten schon komisch. Keiner von denen hat jemals Pilze im Wald gesammelt. Mischa aber mit seinen 4 Jahren kennt sich bestens aus. Der war sogar schon mit seinem Papa angeln und war sehr stolz darauf. Bis seine Freundin Svenja ihm sagte, dass sie keinen Fisch mag: "Fische sind ekelig!" Und zu Hause heißt es, man darf über das Essen so was nie sagen. Und von seiner Heimat Russland haben sie alle auch keine Ahnung. Nicht mal Frau Kester-mann, die ja eigentlich so nett ist.

Manchmal denkt er aber, nicht seine Freunde sind komisch, sondern seine Eltern. Die Mama kann nicht mal richtig deutsch, und er schämt sich, wenn sie ihn mittags abholt. Er hat auch zu ihr gesagt, sie soll auf gar keinen Fall laut mit ihm russisch reden. Aber wenn sie dann mit so einem starken Akzent "Michael, komm, wir nach Haus gehen!" ruft, ist es ihm auch pein-lich. Der heißt doch Mischa und nicht Michael. Denkt sie etwa, wenn sie so spricht, würde sie für eine Deutsche gehalten werden?

Der kleine Mischa alias Michael wird seine anfänglichen Schwierigkeiten bestimmt überste-hen und sich in die deutsche Gesellschaft problemlos integrieren. Sein Glück besteht eben darin, dass er noch so klein ist. Er hat spielerisch deutsch gelernt und hat deutsche Freunde. Mit seinem Beispiel wollte ich zeigen, dass es in Wirklichkeit seine Eltern sind, die in der neuen Heimat ohne Orientierungen bleiben. Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge aus Russland und den GUS Staaten haben mit vielen Problemen zu kämpfen wie Diplomanerken-nung, Deutsch lernen oder Wohnungs- und Arbeitssuche. Dazu kommen Erziehungsschwie-rigkeiten mit heranwachsenden Kindern. Die Werte und Normen, die sie an ihre Kids zu ver-mitteln versuchen, gelten hier nicht oder nicht mehr. Wenn Deutschland die Phase der antiau-toritären Erziehung hinter sich gelassen hat, überwiegt in Russland immer noch traditionelle autoritäre Erziehung. Zielstrebigkeit, Ausdauer, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung und Dis-ziplin sind bis heute Charaktereigenschaften, auf die es ankommt, die man eben voller über-zeugung anerzieht. Starke Orientierung an den Geschlechtsrollen gehört zu den Grundlagen der russischen Kindererziehung. Wenn Jungs mutig, stark und ehrlich sein sollen, erwartet man von den Mädchen Mitgefühl, Fleiß, Geschicklichkeit und Bescheidenheit. Achtung vor den Eltern, Wissbegierde und gute Umgangsformen runden das Ideal von einer guten Erzie-hung ab. In Deutschland dagegen legt man Wert auf gleiche Erziehung von Jungen und Mäd-chen, auf Stärkung des Individuums, auf die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und auf soziale Kompetenz. Fast möchte man sagen, es prallen zwei Wertesysteme aufeinander, und die Kinder pendeln hin und her.

"Mit den russischen Eltern haben wir keine Schwierigkeiten. Sie bringen und holen ihre Kin-der ja nur ab. Mehr Kontakt entsteht nicht", - erzählte mir eine Kindergartenerzieherin aus Essen. Sei es aus mangelnder Sprachkompetenz oder aus Angst, ihre Kinder würden sonst schlecht behandelt, die meisten Migranten-Eltern scheuen offene Diskussion und beklagen sich über "schlechte" deutsche Kindergärten unter sich.

Die meisten russischen Eltern sind in den Westen mit der Hoffnung gekommen, ihren Kin-dern eine besonders gute Ausbildung zu ermöglichen, die ihrer Meinung nach schon im Kin-dergarten beginnen soll. Denn die Kindergärten in Russland sind eine Art Vorbereitungsstufe für die Schule. Hier wird Akzent auf das Endresultat gelegt: Was kann das Kind schon? Die deutsche Vorschulpädagogik interessiert sich eher für die Frage: Wie gelangt das Kind zum Ergebnis? Nun sind die Migranten-Eltern vom Bildungsniveau in der Bundesrepublik ent-täuscht (und die Pisa Studie bestätigt teilweise ihre Skepsis), vor allem aber erscheint ihnen der ganze Erziehungs- und Lernbetrieb als fremd. Das Verhältnis Erzieher(Lehrer) – Kind, das freie Spielen und offene Gruppen als Kindergartenalltag, sogar die öffnungszeiten – alles ist ganz anders und unverständlich für sie. Und was man nicht kennt, lehnt man oder wertet sogar ab. Inzwischen gibt es allein in NRW duzende Spielgruppen, Förderkreise und Privatinitiativen, wo russische Eltern ihren Kindern das anbieten wollen, was sie unter guter Ausbildung und Betreuung verstehen. Mit der Konsequenz, dass man auch weiter unter sich bleibt, ohne sich für Pädagogik und Erziehungsmethoden der neuen Heimat zu öffnen. Mehr interkulturelles Wissen auf beiden Seiten und Austausch zwischen deutschen und russischen Vorschulpäda-gogen und Praktikern könnte diesen Teufelskreis durchbrechen.

Dr. Daria Boll-Palievskaya
Trainerin für interkulturelle Kommunikation
www.fit-for-russia.de

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